Two Tribes - Frankie Goes To Hollywood (1984)

[Marcus]

1984 war der Song "Two Tribes" von Frankie Goes To Hollywood erfolgreich in vielen internationalen Chartlisten vertreten.
Der Song war dem Spiegel in der Ausgabe 36 vom 02. September 1984 einen Artikel wert:

Aufwärts mit Radau

Mit anzüglichen Texten, zur Schau getragenem Schwulsein und kleinen Skandalen erobert die britische Newcomerband "Frankie Goes To Hollywood" die Hitparaden.

Der Videoclip endet mit einem formidablen Knall: Die Welt fliegt in Stücke.
Vorher kratzen sich Reagan- und Tschernenko-Doubles im Ring die Gesichter blutig und zerren sich unter dem Jubel der Menge gegenseitig an den Hoden.
Die Redaktion der ARD-Video-Hitparade "Formel Eins" fand den Clip mit den catchenden Präsidenten (Produktionskosten: 200 000 Mark) "geschmacklos".
Doch Frankie Goes To Hollywood (FGTH) mußte ins Programm: Die Band belegte seit Wochen Spitzenplätze in den internationalen Hitlisten.

Im Juni wurden die singenden Rüstungskritiker ins Bavaria-Studio geladen, um eine zahme Video-Version des Hits "Two Tribes" zu produzieren.
Doch das machte alles nur schlimmer: Bei den Dreharbeiten demolierte das Quintett die Oldtimer-Requisiten der "Formel Eins"-Sendereihe.
Anlaß für die Randalieraktion war, so das Management der Gruppe, das Verlangen eines Photographen nach "Action".

Sinn für Publicity hatte die Band von Anfang an.
Was bei den Rolling Stones vor 20 Jahren funktioniert hat, erweist sich noch immer als Erfolgsrezept: anzügliche Texte, gemischt mit politverdächtigem Anti-Autoritarismus, vorgetragen von Bürgerschrecks.
Der Stones-Manager, der diese Masche erfand, hieß Andrew Loog Oldham, die FGTH-Manager, die sie heute praktizieren, sind Paul Morley und Trevor Horn.

Der Erfolgsproduzent Horn, dessen "Zang Tuum Tumb"-Label sich in den letzten zwölf Monaten zum heißen Brüter der britischen Schallplatten-Industrie entwickelt hat, nahm die Band Mitte 1983 unter Vertrag. Die erste Single, "Relax", eroberte rasch die Hitparaden und am 11. Januar 1984 besorgte BBC-Discjockey Mike Read den Rest: Er weigerte sich, das Lied, damals auf Platz sechs, weiterhin im Morgenprogramm zu spielen. Grund: Der Text sei "offenkundig obszön".
Zwei Tage später galt der Bann auch im Abendprogramm, die britische Popwelt hatte ihren Skandal, und das war gut fürs Image.
Sänger Holly Johnson, der FGTH in Liverpool gründete, gab sich überrascht: "Wir haben den Skandal nicht beabsichtigt. So schlau sind wir nicht."

Dicke Kartoffeln gab's trotzdem: Noch acht Monate nach dem BBC-Verbot tummelte sich "Relax" in den internationalen Hitparaden, und als im Juni dieses Jahres die Nachfolge-Single "Two Tribes" erschien, gelang der Band ein Erfolg, der bislang nur Elvis Presley, den Beatles und John Lennon beschieden war: Die Gruppe belegte Platz eins und zwei der britischen Charts gleichzeitig.

Promoter Paul Morley bezeichnet "Two Tribes" (Zwei Stämme) als "ersten genuinen Protestsong der letzten acht Jahre".
Auf dem Single-Cover wird Philosophisches über "Freiheit" zitiert, darunter das Nuklearpotential der Supermächte USA und UdSSR aufgelistet.
Doch trotz solcher Polit-Anwandlungen will die Gruppe, die sich nach der Bildzeile unter einem Frank-Sinatra-Photo nennt, "in erster Linie unterhalten".

"Wir wollen, daß die Leute sich wohl fühlen, und Sex gehört nun mal dazu", rechtfertigte Johnson die Schlüpfrigkeiten im Text der Debüt-Single, die im historischen Vergleich mit Songs von Chuck Berry und den Rolling Stones freilich harmlos wirken.
Wichtiger als die Textsplitter "Suck it!" oder "When you wanna come" war für das Skandalon wohl die Tatsache, daß die beiden Sänger der Gruppe, Holly Johnson und Paul Rutherford, sich ungeniert zu ihrer Homosexualität bekennen und sich vor Photographen auch schon mal zu zweit auf dem Boden wälzen.
Freizügige Heterosexualität macht halt auf dem Popmarkt nichts mehr her.